Spaniens Weingeschichte (2) – von der Reblaus bis zur Vielfalt der 2020er

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Der erste Teil dieser Beitragsreihe endete mit dem Rioja-Boom in den 1870er-Jahren, welcher auf die große Reblausplage in Frankreich zurückzuführen ist: Auf der Suche nach einem intakten Weingebiet ließen sich französische Weinhändler und Kellermeister in der Rioja nieder und trieben den Weinbau voran. Doch auch Spanien blieb von der Reblaus nicht verschont: 1878 trat der Schädling erstmals in Málaga auf und vernichtete in der Folge nahezu alle Weinberge im Land.

Wie es sich herausstellte, waren amerikanische Wildreben gegen die Reblaus – welche die Wurzeln der Pflanzen befällt – resistent. So konnte der Weinbau einen neuen Anlauf nehmen: Bei den Nachpflanzungen wurden europäische Edelreben auf amerikanische Unterlagsreben gepfropft. Gebiete wie Jerez (Sherry) und Rioja konnten sich so schrittweise erholen und ihre Führungsrolle in Bezug auf spanischen Wein wieder einnehmen. Besonders hart traf es hingegen das einst berühmte Málaga: 110.000 Hektar Weinland gingen Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der Reblausplage verloren. Statt Reben, wurden Mandel- und Olivenbäume nachgepflanzt. Heute kommt die Provinz auf weniger als 3.000 Hektar Rebland.

1. Das zwanzigste Jahrhundert

Im zwanzigsten Jahrhundert erlebt der spanische Weinanbau teils gegensätzliche Bewegungen: Zum einen wird Spanien ein Massenweinland und Erzeuger von Billigweinen. Zum anderen zieht durch die Gründung von D.O.-Weingebieten in vielen Regionen der Qualitätsweinbau ein. Hierzu im Folgenden ein knapp gehaltener Überblick.

Der Aufstieg der Kooperativen

Die 1930er- bis 1950er-Jahre sahen zahlreiche Gründungen von Kooperativen, welche die spanische Weinstruktur stark veränderten. Einst kleine Weinerzeuger wurden zu Weinbauern, die ihre Trauben an die Genossenschaft verkauften, welche sich dann allein um die Weinbereitung und den Vertrieb kümmerte. Mit den Kooperativen entstanden damals Großbetriebe, von denen viele bis heute tätig sind: Beispielsweise erzeugt die 1935 gegründete Winzergenossenschaft Agrícola Castellana heute im Anbaugebiet Rueda gut 16 Mio. Flaschen im Jahr. Ein weiteres Beispiel dazu: In den 1950ern wurde in Aragon die Kooperative Borja gegründet. Heute ist diese Winzergenossenschaft unter dem Namen Borsao sehr bekannt und produziert etwa 8 Mio. Flaschen im Jahr. 

Mitglieder der Agricola Castellana, Rueda.
Mitglieder der Kooperative Agricola Castellana in den 1940er-Jahren (Foto: © Agricola Castellana).

Modernisierung und Industrialisierung 

Etwa ab den 1970er-Jahren erlebte der spanische Weinbau einen enormen Modernisierungs- und Industrialisierungsschub, der aus heutiger Sicht eher skeptisch zu betrachten ist. Zum einen setzten Weinmacher verstärkt auf ertragreiche und populäre Sorten, was bedeutete, dass viele lokale Sorten ersetzt wurden. Darüber hinaus schafften sich die Bauern große Maschinen an und begannen verstärkt Pflanzenschutzmittel einzusetzen, um möglichst hohe Erträge zu erhalten und um Ernteausfällen vorzubeugen. Der Einsatz von Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden wurde damals als modern und wirtschaftlich angesehen. Damals dachte jeder, dass man diesem Weg folgen muss. Heute jedoch erkennen immer mehr Leute, dass es ein Fehler war allein auf große Erntemengen zu setzen. Die ökologischen Folgen eines solchen Weinbaus sind mitunter verheerend, sie führen zu einer Überbelastung der Böden und bereiten der Desertifikation Spaniens den Weg.

Teils waren im 20. Jahrhundert landesweit bis zu 1,6 Mio. Hektar im Anbau. Heute verfügt Spanien über etwa 1 Mio. Hektar Rebland und und ist damit in der Fläche immer noch das größte Weinland der Welt.

In einem Verdejo-Weinberg in Rueda, Spanien
Weite Weinlandschaft in der D.O. Rueda (Foto: Thomas Götz).

Die Einführung von D.O.-Qualitätsweingebieten in Spanien

Eine weitere „Bewegung“ des 20. Jahrhunderts bestand in der Gründung von Qualitätsweingebieten, welche in Spanien als „Denominación de Origen“ (kurz: D.O.) bezeichnet werden. Die erste solche Denominación de Origen wurde 1925 in der Rioja gegründet. Das Sherry-Gebiet folgte 1933 mit der D.O. Jerez-Xérès-Sherry. 

Jede D.O. wird von einem Kontrollrat geleitet, der Regeln bezüglich Erntemengen und Qualitätsstandards bei der Weinbereitung vorgibt und kontrolliert. Wer seine Weine mit einer D.O.-Angabe auf dem Etikett auf den Markt bringen will, muss sich an diese Regeln halten. Die Gründung von D.O.-Gebieten hat dem spanischen Weinbau insgesamt einen Qualitätsschub gegeben. Heute gibt es im Land 69 solche Qualitätsweingebiete.

Trotz vieler D.O.-Gründungen verhielt es sich etwa bis zum Jahr 1980 so, dass Spanien im Ausland – Qualitätsweine betreffend – nahezu ausschließlich mit Rioja und Jerez assoziiert wurde, während die anderen Gebiete für die Erzeugung günstiger Massenweine zuständig waren. Erst in den 1980ern sollte sich dies ändern: Erfolgreiche D.O.-Gründungen wie Rueda (1980), Ribera del Duero (1982), Cava (1986) und Rias Baixas (1988) fanden internationale Beachtung und Anerkennung und machten die spanische Weinlandschaft spätestens ab 1990 vielfältiger und interessanter. Auch das katalanische Anbaugebiet Priorat erlebte in den 1990er-Jahren einen enormen Boom und wurde schlagartig weltweit für seine Rotweine gefeiert.

Tempranillo-Rebstöcke von Ribera del Duero, Spanien
Beim Weingut Dominio de Atauta in Ribera del Duero finden teils noch noch wurzelechte Tempranillo-Rebstöcke mit einem Alter von 120 bis 170 Jahren.

2. Das neue Jahrtausend

Als das neue Jahrtausend begann, war Spanien international für Rotweine aus Rioja, Ribera del Duero und Priorat sowie für Weißweine aus Rueda und Rías Baixas bekannt. Dazu gab es nach wie vor die berühmten andalusischen Sherrys und die katalanischen Cava-Schaumweine, überwiegend aus dem Penedès-Gebiet.

In den letzten zwanzig Jahren hat Spanien eine explosionsartige Entwicklung hingelegt, die es zu einem der dynamischsten Weinländer der Welt macht. Neue Rebsorten und Weingebiete erobern den Markt: Mencia und Bierzo, Monastrell und Jumilla, Godello und Valdeorras, um nur ein paar wenige autochthone Trauben und Gebiete zu nennen. 

Darüber hinaus findet eine Rückbesinnung auf alte lokale Rebsorten und Weintraditionen statt. Die neue spanische Winzergeneration setzt weniger auf Industrie, sondern mehr auf Handwerk. Sie produziert keine Masse, sondern Klasse. Sie setzt keine Pestizide im Weinberg ein, sondern arbeitet biologisch oder biodynamisch. Erzeuger wie Comando G (Madrid), Envinate (Teneriffa + Ribeira Sacra), 4 Kilos (Mallorca) und Ponce (Manchuela) stehen beispielhaft für dieses neue Spanien, das seine historischen Rebsorten wieder entdeckt, charaktervolle Weine erzeugt und auf nachhaltige Landwirtschaft setzt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist bei diesen Weinen im internationalen Vergleich immer noch hervorragend, aber billig sind sie nicht mehr. 

Das Weinland Spanien ist heute zweifellos so vielfältig, so spannend und so gut, wie noch nie zuvor in seiner Geschichte. Spanien ist in Teilen zwar immer noch ein Massenweinland, doch es gibt immer mehr Klasse, und zwar überall im Land, nicht mehr nur in ein paar Regionen. Die Zukunft für den spanischen Weinbau sieht eigentlich großartig aus, wenn da nicht der Klimawandel wäre, von dem Spanien als südeuropäisches Land besonders stark betroffen ist. Diesem zu begegnen wird die Hauptaufgabe für spanische Weinmacher sein. Beim Qualitätsweinbau geht die Tendenz zu Weinbergen mit Nordausrichtung und in Höhenlagen und zu alten Reben, welche wegen eines tieferen Wurzelwerks besser mit Trockenheit klarkommen.

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