Wie man Wein besser versteht und bewusster genießt (2)

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Auge und Nase geben uns bereits viele Informationen über einen Wein. Ebenso sind sie unverzichtbar für einen umfassenden und bewussten Weingenuss, wie wir im ersten Teil dieser Beitragsreihe beschrieben haben. In der heutigen Fortsetzung geht es um das Thema „Schmecken von Wein“ und die abschließende Bewertung eines Weins.

Obwohl wir beim Riechen deutlich mehr Weinaromen wahrnehmen können als beim Schmecken, gibt es doch zahlreiche Empfindungen, die wir nur über die Aufnahme des Weins in den Mund, sprich das Trinken, erhalten: Konkret schmecken und fühlen wir im Mund die Süße, den Körper, die Struktur und Säure eines Weins.

1. Der Süßegrad eines Weins

Traubensaft ist von Natur aus süß. Während der Gärung ernähren sich die Hefen jedoch von dem Zucker im Saft und wandeln ihn in Alkohol um, wodurch der Weinmost seine Süße verliert. Die meisten Weine sind deshalb trocken, weil die Hefen bei der Gärung normalerweise den gesamten Zucker in Alkohol umwandeln.

Es gibt aber auch halbtrockene und süße Weine. Um diese zu erhalten, kann der Winzer die Gärung stoppen, bevor die Hefen den gesamten Zucker verbraucht haben. Einen solchen Gärstopp erhält man etwa durch ein Herunterkühlen des Mosts auf unter 5°C (die Hefen stellen dann ihre Aktivität ein) oder durch Anreicherung des Mosts mit hochprozentigem Weingeist (die Hefen sterben dann ab). Eine andere Methode ist die Zugabe von konzentriertem und süßlichem Traubenmost zu trockenem Wein. 

Beim Weingenuss hängt die Geschmacksempfindung stark davon ab, wie viel vom sogenannten „Restzucker“ ein Wein enthält. Trockene Weine mit null Gramm Restzucker oder weniger als vier Gramm sind in der Regel sehr vielseitige Speisebegleiter. Für scharfe Gerichte und Desserts eignen sich hingegen Weine mit einer gewissen Restsüße, die je nach persönlichem Geschmack dezent oder deutlich schmeckbar sein darf. Mehr Infos zum Thema „trocken, halbtrocken und süß“ findet Ihr in diesem Beitrag im Vino&Alma Weinmagazin.

2. Der Körper eines Weins

Unter Körper versteht man das Gefühl der Dichte, das der Wein im Mund erzeugt. Der Körper eines Weins kann schwer, mittelschwer oder leicht sein. Weine mit einem leichtem Körper sind normalerweise erfrischend und leicht zu trinken. Sie eignen sich etwa gut als „Terrassenwein“ im Sommer, für den Alltag oder für gesellige Runden.

Bei einem Wein mit mittlerem Körper fühlt sich die Textur im Vergleich dichter und voller an. Der Grund hierfür kann beispielsweise an der Rebsorte liegen oder auch daran, dass er länger in Eichenfässern gelagert wurde.

Ein schwerer Wein wirkt dicht und konzentriert am Gaumen. Dies ist in der Regel auf einen höheren Reifegrad der Trauben zurückzuführen und darauf, dass der Wein länger auf der Maische stand (bei Rotweinen) und somit mehr Extraktstoffe aus den Beerenschalen zieht. Aber auch Weißweine können einen schweren und mächtigen Körper haben, etwa wenn sie im Eichenfass vergoren und ausgebaut sind, was immer mehr Körper verleiht. 

Titelbild Geschmacksgrade Wein

3. Die Struktur eines Weins

Bei Rotweinen ist vor allem das Tannin für deren Struktur verantwortlich. Tannin ist ein Stoff, der in den Schalen von Rotweintrauben enthalten ist. Tannine machen sich am Zahnfleisch und auf der Zunge bemerkbar und sorgen für ein pelziges Mundgefühl. Es ist derselbe Stoff, der auch in schwarzem Tee vorkommt. Tannine verleihen dem Wein einerseits Struktur und Rückgrat. Sie tragen andererseits zur längeren Reifung bei, weil sie den Wein vor Oxidation schützen.

Tannine können sich ganz unterschiedlich anfühlen: von weich und samtig bis hin zu hart und rau. Ihre Beschaffenheit hängt etwa von der Rebsorte, dem Lesezeitpunkt, dem Ausbau im Keller und der Dauer der Flaschenreifung ab. Tanninreiche Rotweine kommen in der Regel aus Sorten wie Cabernet Sauvignon und Monastrell. Eher tanninarme Trauben wären dagegen Garnacha und Pinot Noir. Auch über „Tannine im Wein“ gibt es über diesen Link einen ausführlichen Beitrag auf Vino&Alma.

Weißweine erhalten ihre Struktur insbesondere durch Säure (siehe Punkt 4) und den Ausbau auf der Voll- oder Feinhefe und in manchen Fällen auch durch den Ausbau in Eichenfässern (die Tannin an den Wein abgeben). Ein mehrmonatiger Ausbau auf der Hefe schützt etwa besser vor Oxidation und macht den Weißwein länger lagerfähig. Darüber hinaus entwickelt ein Weißwein beim Ausbau auf der Hefe eine cremigere Textur, so dass er sich im Mund weicher und voller anfühlt.

4. Säure

Die Säure ist ein wichtiges Qualitätskriterium, denn sie trägt maßgeblich zur Frische eines Weins bei. Sie schafft ein Gleichgewicht, indem sie den Alkohol und den möglichen Restzucker im Wein ausgleicht und wird durch Speichelbildung im Mund wahrgenommen. Je mehr Säure ein Wein hat, umso stärker fällt die Speichelbildung aus. Da Wein einen höheren Säuregehalt als unser Mund hat, scheiden wir Speichel aus, um den pH-Wert in unserem Mund wieder auf ein normales Niveau zu bringen.

Weine mit hoher Säure stammen aus überwiegend kühleren Regionen, in Spanien wäre dies etwa das atlantische Anbaugebiet Rías Baixas im regenreichen Galicien. In wärmeren mediterranen Gebieten enthalten die Weine in der Regel hingegen etwas weniger Säure.

Manche Weinliebhaber mögen knackige und säurereiche Weine, andere bevorzugen wiederum Weine mit weniger Säure. Dies ist reine Geschmackssache. Allerdings gibt es die unschönen Extreme: Ein Wein mit deutlich zu hohem Säuregehalt ist unangenehm, denn er schmeckt säuerlich. Ein Wein mit zu wenig Säuregehalt wirkt hingegen flach, müde und wässrig. 

Der Gesamteindruck

Bis hierhin haben wir im ersten und zweiten Teil dieser Reihe verschiedene Komponenten beschrieben, die einem Wein seinen Stil und Charakter geben. Mit der Nase sind wir etwa in der Lage komplexe Aromen wahrzunehmen, die wir in Primär-, Sekundär- und Tertiäraromen einteilen. Siehe Part 1. Darüber hinaus schmecken und fühlen wir am Gaumen Süßegrad, Tannin, Körper, Textur und Säure eines Weins.

Wein ist allerdings stets ein gesamtheitliches Erlebnis. Bei einem guten Wein stehen all die genannten Komponenten in einem harmonischen Verhältnis zueinander. Die Qualität eines Weins hängt nicht davon ab, ob er nun nach Himbeere oder Erdbeere riecht, ob sein Körper mittelschwer oder leicht und die Säure hoch oder moderat ist. Diese Komponenten fallen in den Bereich persönlicher Vorlieben. Je nachdem, was einem besser gefällt.

Wenn wir dagegen von einer übergeordneten Weinqualität sprechen (abseits der eigenen Vorlieben), dann sind die Faktoren Balance (Harmonie), Länge (Nachhall) und Komplexität entscheidende Kriterien. Ein Wein mit einem lang anhaltenden und animierenden Finish steht über einem Wein mit einem kurzen Abgang. Ein facettenreiches und aromatisch vielseitiges Gewächs ist höher einzustufen als ein eindimensionaler Wein. Und nicht zuletzt ist entscheidend, dass all die Komponenten eines Weins – wie bereits gesagt – in Balance und Harmonie zueinander stehen. Diese Faktoren bestimmen den Gesamteindruck eines Weins.

Moderater Weingenuss

Die Absicht dieses Zweiteilers zum bewussten Weingenuss besteht bzw. bestand nicht darin, Sie – liebe Leser und Leserinnen – zu belehren. Wir glauben einzig, dass ein tieferes Verständnis und Wissen um Wein dazu beiträgt, ihn bewusster zu genießen und zu schätzen. Zum bewussten Weingenuss gehört für uns auch ein moderates Trinkverhalten. Wein ist kein Rausch-, sondern ein Genussmittel, das sich beispielsweise wunderbar als Begleiter zu Speisen eignet und ein schönes Mahl erst so richtig komplett macht.

Natürlich eignen sich Weine auch als Solisten, ganz ohne Essen. Insbesondere dann lohnt es sich und steigert die Freude, sich tiefer mit dem Gewächs im Glas zu befassen, seine Aromatik und Struktur zu erkunden und in einen Dialog mit dem Wein zu treten. Viele gute spanische Weine finden Sie hierfür in unserm Vino&Alma-Weinshop.

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