Braucht Wein Ruhe nach dem Transport?

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Nicht erst seit der Coronakrise boomt der Online-Handel mit Wein. Seither hat er allerdings nochmals an Fahrt aufgenommen und viele neue Kunden erreicht. Immer mehr Weinliebhaber lassen sich ihren Wein in Paketen an die Haustür bringen. Dies bedeutet, dass der bestellte Wein in der Regel zwei bis drei Tage unterwegs ist und dabei mehrere Lagerstationen und Fahrzeuge durchläuft und beim Be- und Entladen manchmal ganz ordentlich durchgeschüttelt wird. An heißen Sommertagen erwärmt sich der Wein im Zustellfahrzeug außerdem.

Schadet so ein mit Rütteln und Schütteln und ggf. mit hohen Temperaturschwankungen behafteter Transport dem Wein? Und braucht der Wein nach so einer Beförderung mindestens drei Tage Ruhe, bevor man ihn öffnet? So wie das gemeinhin von vielen Händlern empfohlen wird.

Der junge „Master of Wine“ Jonas Tofterup hat zu diesen Fragen eine ausgeklügelte Studie durchgeführt, die zum Ergebnis kommt, dass Wein selbst bei langen Transportwegen weder beschädigt wird, noch danach ruhen muss. Der Wein unterliegt also keinem „Bewegungsstress“ und schmeckt direkt nach einem Versand genauso gut wie drei Tage oder einige Wochen später. Wie kommt der Master of Wine zu diesem Resultat?

Wein, Transport und Ruhe: Eine Studie über den vermeintlichen „Reiseschock“ bei Wein

Obwohl Wein über die ganze Welt geflogen, verschifft und gefahren wird, gibt es kaum fundierte wissenschaftlichen Studien, wie sich dieser Transport auf den Wein auswirkt. In zahlreichen Internet-Publikationen ist zwar von einem nachteiligen „Reiseschock“ des Weins die Rede, aber Jonas Tofterup betont, dass alle diese Beiträge auf Anekdoten und nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.

Jonas Tofterup führte seine Studie mit einem damals sechs Jahre alten spanischen Rotwein durch – genauer mit der Vina Mayor Reserva 2012:

12 Flaschen dieses Rotweins wurden von einer Kellerei in Valladolid zum Flughafen Málaga transportiert und von dort nach Kopenhagen und wieder zurück geflogen. Und im Anschluss von Málaga wieder zurück nach Valladolid versendet. Ein Datenmesser stellte fest, dass die Weine sich einmal auf bis zu 26°C erwärmten.

12 weitere Flaschen wurden auf einen 8-stündigen LKW-Transport gegeben. Hier stellte ein Datenmesser zahlreiche Erschütterungen während der Beförderung fest.

Die mit Flugzeug und LKW versendeten Flaschen wurden dann gleich nach dem Wieder-Eintreffen in der Kellerei mit 12 Flaschen verglichen, welche stets in der Kellerei lagerten und seit Abfüllung nie bewegt wurden. Alle Weine wurden von einem 13-köpfigen Expertenteam bei identischer Weintemperatur verkostet.

Das Ergebnis: Bei den acht Stunden lang mit LKW versendeten Weinen ergaben weder die chemischen Analysen, noch die sensorischen Verkostungen irgendwelche Unterschiede zwischen den transportierten und den ruhig gelagerten Weinen.

Bei den mit Flugzeug versendeten Weine konnten im Vergleich ebenfalls keine sensorischen Unterschiede bei der Degustation ausgemacht werden. Einzig die chemische Analyse zeigte, dass die mit Flugzeug versendeten Weine einen niedrigeren Anteil an freier Schwefelsäure hatten als jene aus der Kellerei. Die Vermutung liegt nahe, dass hier etwas Luft durch den Korkverschluss absorbiert wurde – möglicherweise durch den höheren Luftdruck, der im Flugzeugfrachtraum herrscht. Sensorisch war dieser Unterschied allerdings, wie gesagt, nicht zu schmecken.

Was wir hier darlegen, ist selbstverständlich nur eine knappe Zusammenfassung. Die ganze Studie von 2019 (78 Seiten, in englischer Sprache) kann auf der Webseite des Institutes of Masters of Wine heruntergeladen werden.

Fazit – Wein braucht keine Ruhe vor dem Genuss

Die Studie von Jonas Tofterup MW legt nahe: Wein benötigt selbst nach einem langen Transportweg keine Ruhe, weil er keinem „Reiseschock“ unterliegt. Für Konsumenten bedeutet dies: Sie können Ihr Vino&Alma-Paket also ganz unbeschwert schon am selben Tag genießen, an dem Sie es zugestellt bekommen haben.

Die Profis machen das übrigens genauso: Zu Weinveranstaltungen und Degustationen werden Weine häufig erst am selben Tag angeliefert oder am Tag davor. Bei jenen Fachveranstaltungen mit Kritikern und Medien ist es für die teilnehmenden Weingüter freilich von großer Bedeutung, dass ihr Wein korrekt schmeckt und nicht etwa vom Transport negativ beeinträchtigt ist. Aber wie schon gesagt, dies stellt kein Problem dar.

Natürlich kann es Probleme geben, beispielsweise wenn eine Weinpalette zwei Wochen lang im Freien unter der heißen Sonne steht. Nur: Wer macht so etwas schon? Bei generell sachgemäßer Behandlung stellen selbst ein paar Tage Transport in einem heißen Laderaum kein Problem für den Wein dar. Er steckt das locker weg. Und die zahlreichen Erschütterungen, die mit einem LKW-Versand einhergehen allemal ebenso.

Keine Regel ohne Ausnahmen

Rotweine bilden bei langjähriger Lagerung ein sogenanntes Depot, womit Weinkristalle und ein krümeliger Niederschlag gemeint sind. Dieses Depot ist kein Anzeichen für schlechte Qualität, sondern im Gegenteil ein Merkmal für eine gute und natürliche Reife eines alten Weins. Da das Depot bitter schmeckt, sollte man dennoch den Wein mittels Dekantieren vom Depot trennen. Wichtig hierfür ist, dass sich das Depot am Flaschenboden abgesetzt hat. Genau deshalb macht es Sinn ältere Rotweine vor dem Genuss zwei bis drei Tage aufrecht zu stellen, damit sich das Depot am Boden absetzen kann und der Wein klar ist.

Diese Regel betrifft übrigens nicht nur alte Rotweine, die einen Versandweg hinter sich haben. Auch ruhig liegende, langjährig gereifte Rotweine aus dem Flaschenregal sollten vor dem Genuss aufrecht gestellt werden, eben damit sich das Depot am Boden absetzt.

Darüber hinaus dürfen nicht geschwefelte und nicht gefilterte Naturweine beim Transport nicht zu hohen Temperaturen ausgesetzt werden. Hitze könnte eine zweite Gärung in der Flasche auslösen und den Wein verderben. Dann hilft auch kein Aufrechtstellen mehr.

Last, but not least sollten Weine erst sechs Wochen nach Abfüllung genossen werden – unabhängig davon, ob sie einem Transport unterzogen waren. Neu abgefüllte Weine benötigen nämlich einige Wochen Zeit, um in der Flasche ihre Balance zu finden. Mit solchen Weinen haben es Konsumenten aber eigentlich nie zu tun. Bis ein neu abgefüllter Jahrgang in den Weinhandel gelangt, vergehen stets mehrere Wochen. Ergo betrifft dieser Fall fast nur Weinkritiker, denen manchmal gerade erst abgefüllte Muster von Weingütern zugesendet werden.

Es mag einige Leser und Leserinnen überraschen, dass Wein entgegen der vorherrschenden Meinung keinen Reiseschock unterliegt und keine Ruhe nach einem Transport benötigt. Vielleicht hat dieser geläufige Eindruck damit zu tun, dass heutzutage die meisten Weine jung getrunken werden, manche zu jung und diese dann noch etwas ungestüm und aufgeregt im Glas wirken. Dies liegt allerdings nicht am Transport, sondern generell an der zu kurzen Reifezeit in der Flasche.

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