Wein dekantieren oder doch lieber karaffieren?

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In der Weinwelt kursieren zahlreiche falsche Annahmen wie zum Beispiel jene, dass ein Rotwein bei Zimmertemperatur getrunken werden muss. Über dieses Thema haben wir in einem Beitrag auf unserem Blog bereits informiert.

Ebenso falsch ist die verbreitete Ansicht, dass ältere Rotweine bereits Stunden vor dem Genuss geöffnet und belüftet werden müssen. In den meisten Fällen verhält es sich genau umgekehrt: Wenn überhaupt, dann kann das Belüften bei jüngeren Weinen sinnvoll sein.

In unserem heutigen Beitrag erklären wir, warum das so ist und worauf Weinliebhaber beim Dekantieren bzw. Karaffieren von Wein achten sollten.

Warum einen Wein dekantieren? Und der Unterschied zum Karaffieren

Bevor wir ins Thema inhaltlich einsteigen, ist es ratsam, auf zwei Begriffe hinzuweisen. Fast alle Weinliebhaber sprechen vom Dekantieren, wenn es darum geht einen Wein in ein anderes Behältnis zu gießen und zu belüften. Streng genommen ist das falsch, denn eine solche Vorgehensweise heißt korrekt Karaffieren.

Wir erklären das kurz. Es gibt zwei nachvollziehbare Gründe einen Wein in ein anderes Behältnis zu gießen:

  1. Den Wein vom Depot trennen, das sich in der Flasche abgesetzt hat. Dieser Vorgang nennt sich dekantieren. Es bietet sich manchmal bei älteren Weinen an, weil diese während der Flaschenreife einen Bodensatz bilden, der bitter schmecken kann.
    Beim Dekantieren füllt man den Wein langsam in einen Dekanter, bis der Bodensatz den Flaschenhals erreicht. Dann stoppt man, und der Wein ist vom Depot getrennt.
  2. Dem Wein Luft geben, zum Beispiel damit die Gerbstoffe weicher werden oder sich die Aromatik des Weins insgesamt beim Kontakt mit Luft verbessert. Diese Technik nennt sich karaffieren und kann bei jüngeren Weinen sinnvoll sein.
    Beim Karaffieren darf der ganze Wein mit mehr Schwung in ein Gefäß gegossen werden. Hier wird schließlich nichts getrennt, sondern es geht allein um den Kontakt mit Sauerstoff.
Das Dekantieren soll verhindern
Das Dekantieren soll verhindern, dass der Bodensatz wie hier ins Glas geht

Die englische Sprache macht übrigens keinen Unterschied zwischen dekantieren und karaffieren. Man spricht bei beiden geschilderten Verfahren von „to decant“. Das mag ein Grund sein, weshalb im deutschen Sprachgebrauch fast nur von „dekantieren“ die Rede ist. Selbst Experten und Sommeliers verwenden selten das Wort „karaffieren“.

Häufiger hört man hingegen die Phrasen „einen Wein belüften“ oder „einen Wein atmen lassen“, was wir sinnvoll finden, weil es eben genau darum in fast allen Fällen geht.

Warum darf man junge, nicht aber ältere Weine belüften?

Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns zuerst an, was mit einem Wein in der Flasche passiert. Wein ist nämlich kein steriles Getränk. Er verändert sich selbst dann noch, wenn er in der Flasche ist.

Die Flaschenreife – ein bisschen Luft tut meistens gut

Ein Grund hierfür ist die Reaktion des Weins mit Sauerstoff. Bereits im Flaschenhals befindet sich genügend Sauerstoff, von dem sich der Wein über Jahre zu „ernähren“ vermag. Ein Naturkorken ist dabei nicht zwingend nötig. Selbst bei einem dichten Drehverschluss verfügt die Flasche über ausreichend Luft, um mikrobiologische Prozesse im Wein auszulösen.

Die mikrobiologischen Prozesse der sogenannten Flaschenreife sind äußerst komplex und von der Wissenschaft nicht völlig entschlüsselt. Nur so viel: Wein besteht zu 75 bis 85% aus Wasser. Der Rest ist Alkohol und Extrakt. Das Extrakt enthält Stoffe wie Glyzerin, Minerale, Säuren, Tannine, Ester, Laktate, Proteine und vieles mehr.

Bei der Reaktion dieser Extrakte mit Sauerstoff bilden zum Beispiel die im Wein enthaltenen Tannine längere Ketten und machen ihn so weicher. Dieses Phänomen betrifft insbesondere Rotweine. Aber auch Geschmacksstoffe, die an Phenolmolekülen hängen, reagieren mit Sauerstoff und verändern so die Aromen eines Weins: Junge Weine sind häufig von Frucht dominiert, während bei gereiften Weinen gerne erdige, balsamische und karamellige Aromen hervortreten.

Um es kurz zu sagen: Die Flaschenreifung verändert die Struktur und den Geschmack eines Weins. Sie stellt im Grunde seine letzte Entwicklungsstufe dar.

Vorsicht beim Wein dekantieren. Denn zu viel Sauerstoff tut selten gut

Das mit dem Sauerstoff ist allerdings so eine Sache: Denn bei zu viel Luftkontakt verlieren die meisten Weine ab einem gewissen Zeitpunkt aufgrund von Oxidation an Qualität bzw. gehen völlig hinüber. Einen oxidierten Wein erkannt man an einem Essigstich, und ein solcher Tropfen eignet sich nur noch zum Kochen.

Zu viel Sauerstoff schadet also wiederum. Deshalb macht es auch wenig Sinn einen zehn oder fünfzehn Jahre alten Wein zu dekantieren – Verzeihung: zu karaffieren. Ein solcher Wein hat die Reaktion mit Sauerstoff in der Flasche ja bereits zur Genüge vollzogen. Alte, gereifte Weine können bei zu viel Sauerstoffkontakt sogar innerhalb kurzer Zeit kippen und oxidieren.

Es sind stattdessen die jungen Weine, die kaum Zeit hatten in der Flasche mit Luft zu reagieren. Bei solchen Weinen – noch dazu wenn sie über viel adstringierendes Tannin verfügen – ist eine Luftzufuhr nützlich. Durch den Kontakt mit Sauerstoff werden die Tannine weicher und binden sich besser in die Gesamtstruktur ein. Das Belüften von jungen Weinen mittels Karaffieren ist im Grunde nichts anderes als eine Reifung im Turboverfahren.

Junger Rotwein wird idealerweise in dickbauchige Dekanter gegossen
Junger Rotwein wird idealerweise in dickbauchige Dekanter gegossen

Das Belüften von Wein im Selbsttest

Junger Wein darf also durchaus vor dem Genuss für ein bis zwei Stunden atmen. Das macht ihn runder und harmonischer.

Zwei kräftige junge Rotweine aus dem Vino & Alma-Shop möchten wir Ihnen diesbezüglich zum Selbsttest nahelegen.

Begastri ecologico, Monastrell, DO Bullas

Burro Loco, Tempranillo, VdT

Unser Tipp: Probieren Sie von diesen gerbstoffreichen Rotweinen jeweils ein paar Schlucke direkt nach dem Öffnen der Flasche. Danach karaffieren Sie die Weine und lassen Sie sie für etwa zwei Stunden atmen. Sie werden anschließend merken, dass beide Rotweine mit der Zeit dazu gewonnen haben, weil sie nun weicher und runder sind.

Wenn Sie keine zwei Stunden Zeit haben, dann gibt es noch den Trick mit dem sogenannten „doppelten Dekantieren“. Das funktioniert so: Sie füllen einen Wein mit Schmackes in einen Dekanter. Und dann füllen sie den Wein vom Dekanter durch einen Trichter gleich wieder zurück in die Flasche. So erhält der Wein eine satte Menge Luftkontakt innerhalb kurzer Zeit. In vielen Fällen ist das bereits ausreichend.

Nicht jeder Wein benötigt Luft

Man soll und muss es mit dem Belüften aber auch nicht übertreiben: Leichtere oder mittelschwere Rotweine sind in der Regel bereits unmittelbar nach dem Öffnen trinkbar. Ein solcher wäre zum Beispiel dieser Tipp:

Vina Puebla Selección, Tempranillo & Garnacha & Cabernet S, & Syrah, DO Ribera del Guadiana

Für Weißweine gilt diese Feststellung allemal: Sie benötigen selten Luft, weil sie im Vergleich zu Rotweinen über wenig bis keine Tannine verfügen und somit ganz anders strukturiert sind. Bei kräftigen und mächtigen Weißweinen, zum Beispiel wenn sie im Holzfass ausgebaut sind, kann sich eine einstündige Belüftung ggf. lohnen. Die Holznoten binden sich dadurch besser in die Gesamtaromatik ein.

Das richtige Weinzubehör

Im Handel findet sich eine schier unendliche Vielfalt an Gefäßen, die mit ihren abgefahrenen Formen wie Lifestyle-Produkte anmuten. Schauen wir bezüglich des Dekantierens bzw. Karaffierens von Wein einzig auf die Funktionalität, so ist es ratsam sich an zwei Regeln zu halten:

  1. Für das Dekantieren eines älteren Weins empfehlen wir die Verwendung einer schlanken Karaffe. Es geht hierbei schließlich nur um die Trennung des Weins vom Bodensatz und nicht um mehr Luftkontakt, der sogar schädlich sein könnte.
  2. Zur Belüftung eines Weins sind wiederum dickbauchige Dekanter am besten geeignet, weil sie den Wein auf großer Fläche atmen lassen.

Ob Dekantieren oder Karaffieren, in jedem Fall wünschen wir viel Genuss.

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