Palo Cortado ist ein mysteriöser und legendenumwobener Sherry-Stil. Man sagt, dieser Wein trage ein unergründliches Geheimnis in sich, da er aus einem Zufall heraus entsteht und nicht planbar ist. Diese romantische Erzählung traf früher gewiss einmal zu, heute jedoch nicht mehr. Im Folgenden entschlüsseln wir das Rätsel des Palo Cortado zumindest ein wenig.
Was ist ein Palo Cortado?
Sachlich betrachtet, handelt es sich um einen trockenen Sherry aus der Palomino-Rebe. Er entsteht sowohl im Kontakt mit Florhefe (biologische Reifung) als auch mit Sauerstoff (oxidative Reifung). Beim Kontakt mit der Florhefe läuft bzw. lief früher allerdings etwas schief, weshalb der Stil als so unvorhersehbar und nicht planbar galt.
Wie bei allen trockenen Sherrys ist seine Ausgangsbasis ein ganz gewöhnlicher Weißwein: Die weißen Palomino-Trauben werden gepresst und vollständig vergoren, so entsteht ein Grundwein mit 11 bis 12 Prozent Alkoholgehalt.
Als nächsten Schritt klassifizierte der Kellermeister eines Weinguts die Fässer für den weiteren Ausbau: Die leichteren und delikateren Grundweine sollten die Reise als Fino antreten; aus den vollmundigeren und kräftigeren Grundweinen sollte wiederum ein Oloroso entstehen. Früher verhielt es sich so, dass ein Palo Cortado ursprünglich als Fino-Sherry vorgesehen war.
Warum der Fino stattdessen zum Palo Cortado wurde, erklären wir nun:
Um einen Fino zu erhalten, wird der Basiswein mit hochprozentigem Weingeist angereichert und auf 15 Prozent Alkohol verstärkt. Warum 15 Prozent? Weil sich nur bei einem Alkoholgehalt zwischen 14,8 und 15,5 Prozent eine recht dicke Florhefeschicht bildet, für die das Sherry-Gebiet unter anderem so berühmt ist. Jene Florhefe schützt den Wein im Fass vor Sauerstoffkontakt. Deshalb spricht man von einer „biologischen Reifung“, wie sie Voraussetzung für den Fino-Stil ist, im Gegensatz zur oxidativen Reifung ohne Florhefe beim Oloroso-Stil.
Damit sie am Leben bleibt, konsumiert Florhefe viel Sauerstoff. Zudem benötigt sie einen stabilen Alkoholgehalt von um die 15 Prozent, wie zuvor bereits genannt. Die Florhefeschicht separiert den Wein nicht nur vom Sauerstoff im Fass. Fernerhin konsumiert sie Glyzerin im Wein und macht ihn dadurch leichter und schlanker im Körper. Last, but not least entstehen beim Ausbau auf Florhefe teigige und nussige Aromen und zudem produziert Florhefe den Stoff Acetaldehyd, was die typischen Fino-Noten von überreifen Äpfeln und Cider mit sich bringt.

Das Geheimnis des Palo Cortado bestand über Jahrhunderte darin, dass sich die Florhefe in einigen für Fino vorgesehenen Fässern nicht wie üblich, sondern nur ungenügend herausbildete oder wieder ganz abstarb. Warum dies geschah, konnte sich niemand so recht erklären. Sobald der Kellermeister nach mehreren Monaten jedenfalls bemerkte, dass die Florhefeschicht für eine biologische Reifung nicht ausreichend vorhanden war, änderte er das Ziel hin zur Erzeugung eines Oloroso: Der Wein wird erneut mit Weingeist verstärkt, nun auf mindestens 17 Prozent Alkoholgehalt. Die empfindliche Florhefe stirbt bei solchen Alkoholgraden ab und nun findet über mehrere Jahre eine oxidative Reifung statt. Am Ende entsteht ein Sherry, von dem man sagt, er habe den Duft eines Amontillado und den Körper eines Oloroso.
Palo Cortado und sein Rätsel – früher und heute
Palo Cortado ist heutzutage nicht mehr das große Geheimnis, wie es uns das Sherry-Marketing glauben machen mag. Der Weinstil entsteht heute nicht mehr zufällig aus einer Laune der Natur, sondern wird von Sherry-Kellereien geplant und in einem kontrollierten Prozess erzeugt. Um diesen Punkt genauer zu erklären, werfen wir einen Blick zurück ins 19. Jahrhundert, als Palo Cortado in der Tat noch aus einer unvorhersehbaren Entwicklung heraus entstand:
Im 19. Jahrhundert wurden die Trauben für die Grundweine noch mit wilden Hefen spontan in Holzfässern vergoren. Bereits dies ist ein Gegensatz zu heute, wo die Grundweine zumeist in temperaturregulierten Stahltanks und mit Reinzuchthefen für die alkoholische Vergärung entstehen.
Darüber hinaus klassifizierte der Kellermeister früher hunderte, gar tausende von Weinfässern, ob sie in Zukunft zu einem Fino oder Oloroso ausgebaut werden sollten. Wir haben es zuvor bereits beschrieben: Leichtere Weine mit mehr Finesse traten die Reise als Fino an. Man markierte ihr Fass mit einem Strich („Palo“) und sie wurden mit hochprozentigem Weingeist auf etwa 15% Alkohol angereichert, damit sich die Florhefe entwickelt. Als dies ausblieb, wurden diese Fässer neu klassifiziert und der Wein darin sollte zu einem Oloroso ausgebaut werden: Der Längsstrich („Palo“) des Fasses wurde vom Kellermeister mit einem Querstrich in zwei Hälften geschnitten („Cortado“), was als das Zeichen für den weiteren oxidativen Ausbau galt. So erhielt der Wein seinen Namen.

Die entscheidende Frage bzgl. des Geheimnisses des Palo Cortado lautet aber: Warum ging die Florhefe in einigen Fässern verloren bzw. warum bildete sie sich nur ungenügend heraus?
Die Antwort ist recht simpel: Der Produktionsprozess war im 19. Jahrhundert schlichtweg viel weniger standardisiert als heute. Es begann bereits im Weinberg: Heute entstehen alle trockenen Sherrys aus der Rebsorte Palomino Fino. Früher, vor der großen Reblausplage, gab es eine Vielzahl an Rebsorten im Sherry-Gebiet, die für Grundweine herangezogen wurden. Es handelte sich um Trauben mit unterschiedlich langen Reifezyklen und Eigenschaften. So entstanden – in Kombination mit Spontanvergärung und niedrigeren Hygienestandards in den Kellereien – ganz verschiedene Grundweine, die unter anderem über unterschiedliche Alkoholgrade und weniger konsistente Qualitäten verfügten.
In der Kellerei wurden die zukünftigen Finos dann auf 15 Prozent Alkohol angereichert. Heutzutage kann man den Alkoholgrad punktgenau treffen, aber im 19. Jahrhundert war das nicht so einfach (auch weil die Grundweine in den einzelnen Fässern im Alkoholgehalt weniger einheitlich waren). Sprich: Die Sherry-Fässer, bzw. der gespritete Wein darin, unterschieden sich im 19. Jahrhundert viel stärker: Manche Weine hatten die idealen Alkoholgrade für Florhefe (14,8 bis 15,5%), andere lagen vielleicht knapp darunter oder darüber. Und weil Florhefe extrem empfindlich ist, konnte sie sich so weniger herausbilden bzw. am Leben halten.
Betrachtet man diese Faktoren im Gesamtbild, dann kann man sich leicht vorstellen, weshalb der Palo-Cortado-Stil in früheren Jahrhunderten so zufällig und geheimnisumwoben war. Heute planen Sherry-Bodegas ihre Produktion hingegen sehr genau und überlassen nichts dem Zufall: In den heutigen modernen Betrieben wird Palo Cortado kontrolliert erzeugt: Die Grundweine stammen aus dem delikateren und leichteren Vorlaufmost, wie sie bei den Finos zum Einsatz kommen. Nach kurzer biologischer Reifung unter Florhefe (die viel kürzer als bei einem Amontillado ist), wird der Wein auf mindestens 17 Volumenprozent aufgespritet, die Florhefe stirbt ab und der Wein reift oxidativ weiter.
Wegen des delikateren Grundweins aus dem Vorlaufmost zeigt ein Palo Cortado als Endprodukt mehr Finesse als ein Oloroso. Da seine biologische Reifung unter Florhefe deutlich kürzer ist als bei einem Amontillado (und deshalb weniger Glyzerin konsumiert wird) hat er einen volleren Körper als dieser. Ein Palo Cortado liegt stilistisch somit zwischen Amontillado und Oloroso.

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Gonzales Byass ist einer der bedeutendsten Sherryerzeuger in Jerez de la Frontera.
Bezugslink: Gonzalez Byass, Leonor Palo Cortado