Im heutigen Beitrag geht es beinahe um eine Glaubensfrage. Wie erntet man Trauben? Mit der Maschine oder von Hand? Wir gehen dieser Frage neutral und „nüchtern“ nach und nehmen beide Erntearten unter die Lupe.
1. Die Handlese
Der Mensch erntet seit Jahrtausenden Trauben von Hand, und dies nach einem ganz einfachen Prinzip: Er trennt die Büschel mit einer Schere oder einem Messer vom Rebstock und sammelt sie in Kisten oder Körben. Im Vergleich zur Maschinenlese (zu der wir nachher kommen), ist solch eine Handlese arbeitsaufwändig, mühsam und langwierig, was unter ökonomischen Gesichtspunkten als Nachteil anzusehen ist.
Die Handlese bietet allerdings den Vorteil, dass ein erstes Aussortieren schlechter Trauben bereits im Weinberg erfolgen kann. Außerdem ermöglicht die Ernte von Hand eine zeitversetzte Lese. Gerade im Zuge des Klimawandels setzen Weingüter vermehrt auf eine solche gestaffelte Lese, um die Frische im Wein zu garantieren. Konkret läuft dies so ab: Ein Teil der Trauben wird kurz vor der Vollreife gelesen. Der daraus gewonnene Most verfügt über knackige Säure und frische Fruchtaromen, hat aber auch ein paar bittere grüne Noten. In einem späteren zweiten Durchgang werden die vollreifen Trauben gelesen. Der Most hieraus hat reife Fruchtaromen, weicheres Tannin und weniger Säure. Am Ende entsteht ein Blend aus beiden Mosten und somit ein Wein, der frische, fruchtige und reife Eigenschaften besitzt.
In klimatisch komplizierten Jahren kann es außerdem vorkommen, dass an ein und demselben Rebstock reife und unreife Traubenbüschel hängen, was eine zeitgleiche Ernte erschwert. In diesem Fall hilft eine gestaffelte Lese ebenfalls, indem man die unreifen Traubenbüschel am Stock belässt und zu einem späteren Zeitpunkt erntet, wenn sie optimal ausgereift sind.
In Spanien gibt es Weingebiete, in denen einzig Handlese erlaubt ist, beispielsweise in der galicischen DO Rías Baixas. Wir empfehlen einen großartigen Albariño aus sehr alten Reben, der von einem kleinen Familienweingut stammt:

Anadigna Sobre Lias (2020)
Von Hand liest auch das Familienweingut El Hato y el Garabato in der DO Arribes; auf dem Titelfoto oben ist Winzer José Beneitez in einem Weinberg mit alten Buschreben zu sehen. Von ihm empfehlen wir einen Rotwein aus der autochthonen Rebsorte Juan García (85%) und 15% weiteren lokalen Trauben wie Rufete und Bruñal.

Sin Blanca (2018)
2. Die Maschinenlese
Eine Handlese ist wie gesagt arbeitsintensiv und zeitaufwändig. Deshalb setzen inzwischen viele Weinbetriebe auf eine maschinelle Lese, die wir uns nun anschauen.
Eine Voraussetzung für maschinelle Ernte ist eine Rebenerziehung am Drahtrahmen. Buschreben, wie sie häufig noch in Spanien zu finden sind, oder Trauben in Pergolaerziehung (was seltener vorkommt, z.B. in bestimmten atlantischen Gebieten in Galicien und Asturien) können nicht mit Maschine gelesen werden. Auch Steillagen können nicht mit Maschine beerntet werden.
Die Erntemaschinen nennt man Vollernter. Ein solcher Vollernter fährt über eine Rebenzeile hinüber. Vibrierende Kunststoff- oder Glasfiberstäbe schlagen gegen die Rebenreihe und die Beeren werden so von den Stielen abgerüttelt. Die Beeren werden hierbei von einem Förderband aufgefangen und in einen Sammelbehälter geführt. Die heutigen modernen Maschinen sind so eingestellt, dass sie sogar in der Lage sind unreife oder faulige Beeren zu erkennen und auszusortieren. Auch bei der Maschinenlese findet also eine Selektion statt, die allerdings nie so genau sein kann, wie bei einer streng durchgeführten Handlese.

Die Maschinenlese bietet zwei Vorteile:
1) Insbesondere in einem heißen Land wie Spanien wird sie oftmals bei Nacht und bei kühlen Temperaturen durchgeführt.
2) Sie geht viel schneller als Handlese und ist somit ökonomischer. Große Flächen können in sehr kurzer Zeit abgeerntet werden.
Im Vergleich zur Handlese bestehen aber auch Nachteile:
1) Ein hoher Maschineneinsatz im Weinberg trägt zur Verdichtung der Böden bei, was auf Dauer nachteilig ist.
2) Bestimmte Methoden der Weinbereitung wie Ganztraubenpressung oder Ganztraubengärung sind nicht möglich, da die Trauben bereits am Stock abgebeert werden.
3) Eine gestaffelte Lese, wie unter Handlese beschrieben, ist nicht möglich.
Dazu geht bei einer Maschinenlese die Weinromantik flöten. Ob dies ein relevantes Kriterium ist, darf jeder Weinliebhaber für sich selbst entscheiden.
Unter anderem in der nordspanischen Weißwein-Appellation DO Rueda ist die Maschinenlese bei Nacht sehr verbreitet. Die dort angebaute Rebsorte Verdejo ist stark oxidationsanfällig, weshalb eine Lese bei kühlen Temperaturen durchaus von Vorteil sein kann.
