Die Sache mit den Punkten – Robert Parker im Ruhestand

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Der weltbekannte Weinkritiker Robert Parker ging vor einigen Monaten offiziell in den Ruhestand, wie das von ihm gegründete Magazin The Wine Advocate in einer Presseerklärung mitteilte. Bereits zuvor besprach und bewertete Parker keine Weine mehr, dafür war und ist ein aktuell zehnköpfiges Team zuständig.

Die berühmten Parker-Punkte werden für die spanischen Weine derzeit von Luis Gutierrez vergeben, der darüber hinaus die Weine aus Chile, Argentinien und des französischen Jura verkostet und beurteilt. Vor Luis Gutierrez war es Jay Miller, der die Punkte für Spanien vergab. In Teilen der Szene wurde er als „Mr. 90 Points“ verspottet, weil er selbst belangloseste Gewächse mit 90 Parker-Punkten und höher bewertete.

Der Name Robert Parker ist eher als Marke zu verstehen. Denn – wie soeben dargelegt – nur die wenigsten Weine wurden von Robert Parker persönlich verkostet. Inzwischen ist der heute 72-jährige Kritiker ja ganz im Ruhestand. Punkte unter seinem Namen werden hingegen weiterhin vergeben.

Warum befassen wir uns auf diesem Blog über das Weinland Spanien mit Robert Parker? Weil Parker die Weinwelt wie keine zweite Person bis in die Gegenwart geprägt und verändert hat. Und zu dieser Weinwelt gehört natürlich auch Spanien.

Robert Parker – durch Bordeaux zum Kritikerstar

Robert Parker, ursprünglich Rechtsanwalt, trat seit den 1970er-Jahren als Weinkritiker in Erscheinung. Zum Kritikerstar avancierte er 1983 mit der Bewertung des Bordeaux-Jahrgangs 1982. Seine Kollegen sahen den Jahrgang allesamt als schwach an – als überreif und mit wenig Lagerpotenzial. Doch es stellte sich heraus, dass Parker mit seiner konträren und euphorischen Ansicht zu diesem Jahrgang richtig liegen sollte. Fortan war Parker so etwas wie der Weinpapst, dessen Urteil in der Weinwelt das größte Gewicht hatte. Die Nummer 1 eben.

Bahnbrechend ist darüber hinaus sicherlich die Einführung des 100-Punkte-Bewertungssystems durch Robert Parker, das sich zum Standard der Weinkritik und zum wichtigsten Instrument des Weinmarketings entwickelt hat. Wie viele Punkte ein Wein erhält, hat einen enormen Einfluss auf seinen Verkauf und die Reputation des Weinmachers. Und am Ende geht es selbst beim Genussthema Wein um Absatz und um Ansehen.

Die Parker-Punkte – vier Kriterien ergeben die Gesamtnote

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht zu erläutern, wie die 100-Punkte-Bewertung funktioniert und was die Zahlen konkret bedeuten. Ich gehe davon aus, dass nicht alle Leserinnen und Leser genau damit vertraut sind.

Im Grunde setzt sich jede Weinbeurteilung aus vier Parametern zusammen: Aussehen, Geruch, Geschmack und Gesamteindruck. Beim 100-Punkte-Schema nach Robert Parker erhält jeder Wein automatisch 50 Basispunkte. Darüber hinaus gibt es bis zu 5 Punkte für das Aussehen des Weins und bis zu 15 Punkte für den Geruch. Hinzu kommen maximal 20 Punkte für den Geschmack und maximal 10 Punkte für den Gesamteindruck. Ein Wein, der in jeder dieser vier Kategorien die höchste Punktzahl erreicht, kommt somit auf 100 Punkte.

Übersetzt man nun die Zahlen in Worte lautet das bei Parker so:

96-100 Punkte = außergewöhnlicher Wein

90-95 Punkte = hervorragender Wein

80-89 Punkte = überdurchschnittlich bis sehr guter Wein

70-79 Punkte = durchschnittlicher Wein

Kennen Sie einen Wein, der mit 76 Punkten als durchschnittlich bewertet ist? Stoßen Sie beim Einkauf auf Weine, die mit 83 Punkten bereits als überdurchschnittlich gelten? Wenn ich mich in Weinhandlungen begebe, gewinne ich manchmal den Eindruck, dass die Welt nur noch aus hervorragenden bis außergewöhnlichen Weinen besteht. Überall hängen an Flaschenhälsen die Schildchen mit 90 Punkten und mehr darauf. Mir persönlich kommt das „spanisch“ vor.

Die Nachteile des 100-Punkte-Bewertungssystems

Befürworter des 100-Punkte-Systems argumentieren häufig, dass die Welt der Weine immer vielfältiger und unübersichtlicher werde. Über das leicht nachvollziehbare und verständliche Punkte-Ranking erhalte der Weinkonsument eine Orientierung bzw. wichtige Empfehlungen für den Weineinkauf. Das 100-Punkte-System ist dieser Argumentation folgend als Dienst am Konsumenten zu verstehen.

Aus meiner Sicht überwiegen hingegen die Nachteile, von denen ich drei im Folgenden ausführe.

Die Robert Parker Punkte
Die Parker 100-Punkte-Bewertungssystems

1. Inflationär viele Weinführer und Kritiker sorgen selbst für Unübersichtlichkeit

Was eine Zeit lang als ordnendes Instrument für Weinempfehlungen funktioniert haben mag, ist inzwischen zu einem unübersichtlichen und intransparenten Markt geworden.

Bei Robert Parker (als er selbst noch bewertete) wusste man zumindest, dass er tendenziell voluminöse, konzentrierte und alkoholische Weine präferiert. Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich Bewertungen verstehen.

Aber kennen Sie die heutigen Kritiker von Wine Advocate, Wine Spectator, Wine Enthusiast oder Decanter und deren Vorlieben und Vorstellungen von Wein? Die hier genannten Publikationen gehören wohlgemerkt zur Spitze der Weinkritik. Auf den Ebenen darunter tummeln sich zahllose bedeutendere und unbedeutendere Magazine, Weinführer, unter eigenem Namen auftretende Kritiker, sogar Weinhändler und Blogger, die inzwischen mit 100-Punkte-Bewertungen hantieren.

In Spanien ist das nicht anders: Als Markführer der rein auf spanische Weine spezialisierten Publikationen gilt der Guía Penin. Einst von José Penin gegründet, ist es mittlerweile ebenfalls ein Verkosterteam, welches die Weine im 100-Punkte-Schema für den jährlich erscheinenden Weinguide bewertet. Ergänzend gibt es Dutzende weitere spanische Medien (um es allgemein auszudrücken), welche die Weine des Landes innerhalb der 100-Punkte-Skala evaluieren.

Durch dieses Überangebot auf dem Punkte-Basar weichen die Bewertungen auf. Von den vielen Anbietern bewerten manche streng und andere wiederum so großzügig, dass ein Wein mit beispielsweise 87 Punkten bereits als minderwertig wahrgenommen wird.

2. Weine werden oft zu jung und oberflächlich verkostet 

Nicht wenige Kritiker verkosten gut und gerne 10.000 Weine im Jahr. Im Schnitt macht das fast 30 Weine pro Tag. Deshalb werden Weine häufig in „Massen-Tastings“ bewertet. Man schaut, man riecht, man spuckt aus. Eine tiefergehende Beschäftigung mit einem Wein ist hierbei schlichtweg nicht möglich.

Es gibt allerdings Weine, die nicht auf Anhieb zeigen was in ihnen steckt, sondern erst mit der Zeit – vielleicht erst beim zweiten Glas – ihr ganzes Potenzial entfalten. Solche Weine können bei Tastings mit 50 bis 80 Weinen durch das Raster fallen. Abgesehen davon, dass auch Weinkritiker keine Maschinen, sondern Menschen sind und nicht jeden Tag gleich gut in Form sind.

Darüber hinaus werden viele Weine von der Kritik in einem sehr jungen Stadium beurteilt. Eine Bewertung ist deshalb bestenfalls eine Momentaufnahme. Wie zum Beispiel ein Rotwein in zwei oder drei Jahren daherkommt – dann, wenn er oftmals konsumiert wird – lässt sich in vielen Fällen nur vage prognostizieren. Wein ist kein steriles Getränk. In der Flasche und mit der Zeit verändert er sich.

3. Punkte sagen nichts über die Stilistik eines Weins aus

Mögen Sie fruchtbetonte Weißweine? Oder bevorzugen Sie lieber solche mit knackiger Säure und Mineralität? Oder stehen Sie auf Weißweine mit schmelzig-weicher Textur? Gefallen Ihnen schwere und konzentrierte Rotweine besser als schlanke und frische? Darf der Rotwein straff und druckvoll am Gaumen oder lieber samtig-weich schmeichlerisch sein? Sind Sie offen für ungewöhnliche Geschmacksmuster und wagen sich deshalb an Naturweine heran?

Fragen wie diese sind zur Herausbildung eines eigenen Weingeschmacks von Bedeutung. Punkte sind diesbezüglich nutzlos, denn sie sagen nichts über den Stil und die Aromatik eines Weins aus. Ein superkonzentrierter Rotwein mit 95 Parker-Punkten mag Ihnen vielleicht zu schwerfällig, zu marmeladig und plump erscheinen und Ihnen gar nicht gefallen. Das bedeutet nicht, dass Sie keine Ahnung von Wein haben, nur weil der Wein von einem Experten so hoch bewertet ist. Es ist nunmal Ihr Geschmacksempfinden.

Es gibt darüber hinaus Situationen (Freundeskreis, Essen), in denen ein einfacher und schön zu trinkender Wein mehr Spass und Genuss bereiten kann, als die hochkomplexe und hochbewertete Granate.

Anstatt auf Punkte zu schauen, ist es aus meiner Sicht ratsamer eine Weinhandlung wie zum Beispiel Vino&Alma aufzusuchen und sich dort über Wein zu erkundigen. Benötigen Sie zum Beispiel die passende Weinbegleitung für das Pastagericht am Abend? Oder wollen Sie einen anspruchsvollen Weinfreund, der zu Besuch kommt, mit einem ungewöhnlichen und spannenden Wein erfreuen? Auf diese Fragen werden Sie die richtigen Empfehlungen erhalten. Nichts ist besser, als über Wein zu reden. Außer vielleicht der Genuss selbst.

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Über den Autor: Thomas Götz ist ein in Spanien lebender Weinautor. Er betreibt unter anderem den Blog Spaniens Weinwelten.

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